Unsere Spinnen - recht unbekannte Wesen Teil 2

Text und Bilder Werner Oertel

Spinnen und ihre außergewöhnlichen Lebensweisen

Ja spinnt diese Spinne? - Besondere Lebensweisen

Wer meine Spinnenserie bislang verfolgt hat, weiß, dass ich von den vielen Spinnenarten berichte, die bei uns leben. Das gilt auch für die drei folgenden, die Spei-Spinne, die Tapezierspinne und die Wasserspinne. Aber die vierte, die Falltürspinne, fasziniert mich so, dass ich sie auch erwähnen möchte, obwohl ich sie bislang nur in Portugal fand. Alle vier erlangten wegen ihrer besonderen „Jagdtechniken“ eine gewisse Berühmtheit unter Spinnen-Interessierten.  

Die Spei-Spinne

Sie ist eine hübsche, gelb-schwarz gefärbte Spinne und misst (ohne Beine, Spinnen werden immer ohne Beine gemessen)  4 – 6mm. Da sie eines Tages in meinem Arbeitszimmer aufgetaucht ist, wollte ich unbedingt beobachten, ob ihre Art des Beute-Fangens tatsächlich so abläuft, wie man es in der Fachliteratur lesen kann: Sie würde über das Beutetier blitzschnell einen Leimfaden spucken. Und zwar indem sie diesen durch hin- und her-Bewegen der Kiefern aus ihren Giftzangen über das Opfer schleudert. Ich setzte meinen Besuch, die Speispinne, auf eine schwarze Platte und bot ihr eine kleine Grille an. Sie näherte sich vorsichtig der Grille, die umher krabbelte, und plötzlich schien die Grille am Boden fixiert - ohne dass ich etwas bemerken konnte. Die Spinne sprang auf den Rücken der Grille, den Biss zwischen die harten Hinterleibs-Ringe des Insekts konnte ich nur ahnen, und dann bezog sie mit einem Signalfaden am Vorderbein im Abstand von wenigen Zentimetern Stellung und wartete. Nach einigen Minuten begann sie an einem Hinterbein der Grille diese auszusaugen. Es dauerte lange, bis sie sich von ihrem Opfer zurückzog. Ich wollte es nun genauer wissen und konnte tatsächlich mit dem Binokular gut die Leimfäden erkennen, mit denen die Grille auf der Bodenplatte festgeklebt war. 

Die Tapezierspinne

Sie ist sehr selten zu beobachten. Sie wohnt nämlich während ihrer mehrjährigen Lebenszeit unter der Erde:  in einem senkrechten Loch, das sie sich gegraben und das sie anschließend mit einem Seidenschlauch ausgesponnen hat. Das Ende des Schlauches liegt – mit Erde getarnt - in einer Länge von wenigen Zentimetern auf dem Boden, und ist dort zusätzlich mit Laub, Moos oder Streu überdeckt. In Wäldern, die von Natur aus trocken sind (z.B. am Forchenhügel bei Außernzell) sind diese Spinnen gar nicht so selten. Aber um sie zu finden, muss man die Bodenoberfläche quadratzentimeterweise absuchen und dabei immer Blätter und Pflanzenreste etwas anheben und drunter schauen. Dann kann man ein Schlauchende finden, und nun die Spinne sogar ausgraben. Wenn das gelingt, ist man von dem Tier erst einmal positiv oder negativ fasziniert (bis erschreckt). Die Spinne ist tiefschwarz, hat kräftige Kieferklauen und ist immerhin bis zu 2 cm lang. Ihre Jagdtechnik: Wenn sie Hunger hat, setzt sie sich an das Schlauchende und wartet, dass ein Beutetiere auf der Erde über den Schlauch läuft. Dann stürzt sie blitzschnell durch den Schlauch, beißt ihre Beute, zieht sie hinein und verschließt das Loch wieder. 

Männchen und Weibchen haben übrigens getrennte Wohnungen. Zur Paarungszeit muss das Männchen ein Weibchen suchen und läuft daher oberirdisch am Waldboden entlang. Das ist für biologisch Interessierte dann die Gelegenheit, auch ohne aufwändige Suche eine Tapezierspinne zu finden.  

Die Wasserspinne

Sie konnte ich für eine genauere Beobachtung in der Nähe von Osnabrück im sog. Heiligen Meer finden. Um sie zu fangen, war Vorsicht geboten, denn sie beißt, was für Spinnen in unseren Breiten eine Ausnahme darstellt. Ihr Biss fühlt sich in etwa an wie ein Wespenstich. Wir haben also zwei Wasserspinnen gefangen (Länge ca. 1 cm) und in ein mit Pflanzen bewachsenes  Aquarium gesetzt. Es hat nur wenige Minuten gedauert, dann war dicht unter der Wasseroberfläche ein kleines Netze von wenigen Zentimetern Durchmesser gespannt und das Spinnpaar hat begonnen, unter ihr jeweiliges Netz Luft einzubringen. Sie lösten diese  mit ihren behaarten Hinterkörpern  von der Wasseroberfläche ab und transportierten sie unter ihr Netz. Bald hat sich das kleine Netz wie eine Glocke hochgewölbt. Diese Taucherglocke dient dem Spinnenpaar nun als Sauerstoffvorrat.  Schwimmen sie herum, nutzen sie Luftblasen am Hinterende ihres Körpers, um ihre Atmungsorgane zu versorgen, und sobald der Sauerstoffvorrat aufgebraucht ist, suchen sie wieder ihre Taucherglocke auf und erneuern die Luftblase an ihrem Körper. Das Sauerstoffdefizit in der Taucherglocke wird ständig ausgeglichen, indem aus dem Wasser gelöster Sauerstoff wieder in die Glocke einsickert. Geht die Wasserspinne auf Jagd, spinnt sie ebenfalls Signalfäden, die ihr herumschwimmende Beute verraten. Und mit Hilfe ihres „Abseilfadens“  findet sie auch immer wieder zurück zu ihrer Taucherglocke. 

Falltürspinnen

Falltürspinnen zu finden, ist eine echte Herausforderung. Wenn man keine Ahnung hat, wo man sie suchen muss, hat man keine Chance. Sie leben in lehmigen Erdabbrüchen (z.B. in Hohlwegen oder an Bachbetten) und bauen wenige Zentimeter lange Röhren in die Wand, die sie – und daher ihr Name -  mit einem beweglichen Deckel, einer aus Spinnfaden und Erde gebauten Tür mit Spinnfadenscharnier verschließen. Diese Tür ist auf der Außenseite völlig ihrer Umgebung angepasst und damit so gut wie nicht sichtbar. Manchmal sind solche Röhren allerdings leer, dann stehen auch die Deckel weg und jetzt hat man einen Hinweis, wo zu suchen sich lohnen könnte. Das ist minutiös. Jeder Quadratzentimeter auf der Erdoberfläche könnte einen Deckel  verheimlichen. Hat man wirklich einen entdeckt, wartet die nächste Geduldsprobe: die Spinne sitzt hinter der Tür und hält sie zu, und zwar erstaunlich fest und hartnäckig. Um die Spinne überhaupt zu Gesicht zu bekommen, haben wir eine Röhre samt der sie umgebenen Erde ausgegraben. Jetzt konnten wir die Spinne vom Röhrenende aus nach vorne (durch die Tür) hinauskitzeln und auch fotografieren.  

„Unsere“ Spinne war ungefähr 1 cm lang und dunkelbraun gefärbt. Um welche Falltürspinnenart es sich handelte, konnten wir allerdings nicht bestimmen, es gibt immerhin an die 500 verschiedene Möglichkeiten und über ihre Lebensweise ist wenig bekannt. Das weiß man freilich schon: in der Dunkelheit halten Falltürspinnen ihre Türen leicht auf und stürzen sich auf vorbei laufende Beutetiere.  

Haben Spinnen auch Feinde?

Ja, vor allem Hausfrauen. Bei ihnen sind sie meist sehr unbeliebt. Nebenbei: in unserer Wohnung dürfen Spinnen leben, so haben wir kaum ein Problem mit Fliegen und Mücken. 

Es gibt aber auch viele Tiere, die Spinnen fressen: 

  • Vögel schätzen diese eiweißreiche Nahrung vor allem zur Aufzucht ihrer Jungen. Spinnfäden werden manchmal auch (z.B. von Schwanzmeisen) für den Nestbau verwendet.  
  • Spitzmäuse lieben Spinnen.
  • Fledermäuse pflücken sie von den Zweigen ab. 
  • Manche Insektenarten haben sich direkt auf Spinnen spezialisiert. Im Folgenden drei Beispiele hierfür.     
Wegwespe oder Spinnentöter (Anoplius sp.) beim Abtransport einer gelähmten Spinne
Wegwespe oder Spinnentöter (Anoplius sp.) beim Abtransport einer gelähmten Spinne

Die  Wegwespe  Anoplius, sie wird auch Spinnentöter genannt: Diese Wespen graben Löcher in trockene, sandige Böden, fangen eine Spinne, lähmen sie mit einem Stich und ziehen sie in das gegrabene Loch. Dann legen sie ein Ei auf die Spinne und verschließen das Loch von außen. Die sich aus dem Ei entwickelnde Larve frisst die Spinne allmählich auf und zwar auf eine Weise,  dass deren lebenswichtige Organe möglichst lange geschont werden. Nach relativ kurzer Zeit verpuppt sich die Larve und schlüpft schließlich als ausgewachsene Wespe. Nach der Paarungszeit überwintern nur die begatteten Weibchen - in einem gegrabenen Erdloch. Und im Frühjahr beginnt der Zyklus von neuem.   

Eine andere Wegwespe - es gibt viele Wegwespenarten, die ein ähnliches Verhalten haben - die Polysphincta (einen deutschen Namen gibt es nicht), lähmt kurzfristig eine Spinne und legt ein Ei auf ihren Körper. Das Ei entwickelt sich auf dem Spinnenkörper zu einer Larve, die die Spinne aussaugt, heranwächst und schließlich die Spinne ganz frisst. Allerdings: Bevor die Spinne stirbt, spinnt sie ein für ihre Art völlig  untypisches Netz, in dem sich die Wespenlarve mit Auswüchsen an ihrem Rücken bewegen kann und in diesem Netz einen eigenen Kokon anlegt, in dem sich die Larve dann verpuppt und zum fertigen Tier entwickelt

Das letzte Beispiel sei die orientalische Mauerwespe (Sceliphron curvatum), die vor ca. 50 Jahren aus Indien eingeschleppt wurde und nun bei uns, meist in Gebäuden lebt. Sie baut 2-3cm große Lehmtönnchen, die mit erbeuteten, gelähmten Spinnen gefüllt werden. In jedes  Tönnchen wird 1 Ei gelegt und die ausschlüpfende Larve frisst den Spinnenvorrat. Ich habe einmal ein Töpfchen geöffnet, darin waren sage und schreibe 16 Spinnen unterschiedlicher Arten, bevorzugt solche, die auf Bäumen leben, dem Jagdgebiet der Wespe. Ich legte die Spinnen auf eine Glasplatte und ließ sie wochenlang darauf (Bild). Ihr Aussehen blieb unverändert, nur gelegentliche kleine Zuckungen zeigten, dass sie noch lebten. Wie raffiniert: das Töpfchen fungiert als „chemischer Kühlschrank“, in dem die Larve wochenlang gelähmtes Frischfleisch zur Verfügung hat. - Leider gelang es mir nicht, eine Larve zur vollen Entwicklung zu bringen, um ein Foto von der Wespe machen zu können.

Vieles, was wir nun über die Spinnen gesehen haben, beschreibt ihre Rolle im Kreislauf der Natur: fressen und gefressen werden, jede Spinnenart auf ihre Weise als Teil einer oder mehrerer Nahrungsketten. Solche Nahrungsketten sind die Basis der gesamten belebten Natur, zu der wir Menschen als Endverbraucher pflanzlicher und tierischer Lebewesen (und nur in absolut extremen Ausnahmefällen als Beute) genauso gehören. Fehlen wichtige Bindeglieder einer Nahrungskette, kann das betreffende System zusammenbrechen und den Tod vieler Arten verursachen. Mögen wir uns als Menschen auch noch so sehr von dieser völlig unromantischen Betrachtungsweise der Natur distanzieren, wir sind in dieses System auf Gedeih und Verderb eingebunden. Das immer wieder bewusst zu machen, ist letztlich das Anliegen des sog. Naturschutzes, der eigentlich Selbstschutz ist.