Unsere Spinnen - recht unbekannte Wesen; Teil 1

Text und Bilder Werner Oertel

In jeder Spinne steckt ein junges hübsches Mädchen

Es ist Herbst. Spinnenzeit. Hunderte von glitzernden Seidenfäden gleiten bei schönem Wetter durch die Luft. Am Ende jedes Fadens hängt eine kleine Spinne, die irgendwann irgendwo landet. Der Altweibersommer. Hat es in der Frühe bereits gereift, sieht man Wiesen mit Hunderten von Spinnennetzen überzogen, gebaut von Jungspinnen, die gelandet sind und hier ihr Leben verbringen müssen. 

Spinnen sind überall. Wir nehmen sie nur meist nicht wahr. Denn sie können winzig sein, ihre Netze sind vielleicht nur bei Tau-Nässe sichtbar, aber vor allem: sie gelten uns Menschen nicht als Nützlinge wie z.B. Bienen. 

Manch einer mag jetzt Ekel spüren, andere werden sich jetzt gelangweilt abwenden, einige werden aber auch das Gelesene interessant finden. Und nur wenige werden Spinnen schön finden. Verständlich. Aber es gibt auch schöne Spinnen, wie diese Bilder zeigen

Was freilich die Wenigsten wissen: In jeder Spinne steckt ein junges und hübsches Mädchen. Und das kommt so zustande:

Dieses Mädchen – sie hieß Arachne – lebte im alten Griechenland, war ausgesprochen schön und wegen ihrer Spinnkunst berühmt. Das stieg ihr in den Kopf, sie verglich sich mit Athene, der Göttin des Handwerks und der Kunst, und behauptete sogar noch besser zu sein als Athene selbst. Das wollte Athene nicht auf sich sitzen lassen, der Aufsässigen aber noch eine Chance geben. Als alte Frau verkleidet war sie zu einem Wettbewerb bereit. Sie spann einen wunderschönen Teppich mit den Heldenkämpfen der Griechen und Götter als Motiv. Der Teppich Arachnes, der das Liebesleben der Götter darstellte, gefiel dem Schiedsgericht der Griechen freilich besser: göttliche Liebesspiele statt Heldentod - herrlich! Vor Wut schleuderte Athene, die sich jetzt zu erkennen gab, ihre Webspindel auf Arachne, die sich daraufhin mit einem Strick um den Hals aufhängen wollte. Athene ließ sie aber nicht sterben, sondern verwandelte sie in eine Spinne, und sie sollte nun zur Strafe auf ewige Zeiten Netze spinnen.

 

Wie aus dieser ursprünglichen Spinne so viele heute auffindbare und verschiedene Arten entstehen konnten, davon haben die alten Griechen nichts erzählt. Sie gaben den Spinnen lediglich ihren wissenschaftlichen Namen: Arachnioidea…. 

Spinnen sind keine Insekten, sondern sie gehören zu einer anderen sog. Tierklasse, den Spinnentieren. Weberknechte, die von ihrem Aussehen her Spinnen sehr ähneln, aber keine Fäden spinnen, sind auch solche Spinnentiere. Spinnen entwickelten sich bereits früh in der Evolution vor mehr als 300 Millionen Jahren.….

Wichtig: Die bei uns lebenden Spinnen sind für Menschen nicht gefährlich.

Auf jeden Fall haben Spinnen ganz faszinierende Lebensweisen entwickelt und nehmen in der Natur eine wichtige Rolle ein. Darüber soll in den kommenden Folgen berichtet werden.  

Der seidene Faden

„Leben am seidenen Faden“ – unter diesem Motto beschrieb schon Horst Stern seine Spinnenbeiträge. Jede Spinne produziert nämlich ihre Seide in Spinndrüsen, die einen Großteil ihres Hinterleibes ausfüllen. Am Ende des Hinterkörpers befinden sich die Spinnwarzen, die aus unzähligen makroskopisch-kleinen Röhrchen, den Spinnspulen, bestehen. Aus ihnen tritt die Seide aus. Je nach der Art der Spinndrüse, welche die Spinne einsetzt, haben diese Fäden unterschiedliche Eigenschaften. Sie können dünner, dicker, trocken, klebrig, mehr oder weniger dehnbar sein. Beim Fadenaustritt aus den Spinnspulen kann die Spinne unterschiedliche Fäden mischen. So entstehen vielfältige Kombinationen. Wie sie das macht, bleibt ein Geheimnis.  

Dagegen ist der chemische Aufbau der Fäden weitgehend bekannt. Und doch sind Spinnfäden technisch noch nicht herstellbar. Dabei wäre gerade das interessant. Verglichen mit Stahlseilen sind Spinnfäden bei gleicher Dicke bis zu hundertmal zugfester und dabei wesentlich leichter. Und für die  Medizin ließen sich z.B. künstliche Sehnen herstellen. Die Automobilindustrie hätte ein ideales Material für die Produktion von Airbags. Usw. Die Anwendungsmöglichkeiten wären enorm. So sind die Spinnen ein Beispiel dafür, dass viele Lebewesen in der Natur eine Vorlage für technische Produkte sein können. Sie wären somit sogar wirtschaftlich hochinteressant und Naturschutz könnte auch als die Erhaltung von Ideen verstanden werden – ein für viele wohl neues Argument. Übrigens: Der Faden, aus dem echte Seidenstoffe hergestellt werden, stammt nicht von einer Spinne, sondern von der Raupe des Seidenspinners. 

Noch einige grundsätzliche Informationen zur Charakteristik von Spinnen:  

• Sie haben einen zweigeteilten Körper, das Kopf-Bruststück (= Prosoma)  und einen Hinterkörper  (= Ophistosoma). Beide sind nur mit einer dünnen Brücke verbunden. Diese erleichtert der Spinne, den Hinterleib zu bewegen und die Spinnwarzen gezielter einzusetzen. 

• Auffällig am Kopf sind zwei Taster, zwei zangenartige Klauen und meist erkennbar acht Einzelaugen.  

• Im Innern des Kopfbruststückes liegen die Giftdrüsen, die in die Klauen einmünden. Im Hinterleib sind unter anderem die Spinndrüsen und die Geschlechtsorgane, die Eier oder Spermien herstellen. 

Wozu die Fäden dienen

Spinnen bauen Netze. Eine Binsenwahrheit. Beutetiere, die in das Netz fliegen oder springen, verstricken sich, kleben fest und zappeln. Die Spinne, die entweder direkt im Netz oder außerhalb des Netzes in einem Versteck sitzt, spürt die Netzbewegung. Denn das Netz ist mit ihr durch einen Signalfaden verbunden, den sie quasi in der „Hand“ hält. Sie kann genau unterscheiden, ob der Wind, ein fallendes Blatt oder eine Fliege die Schwingungen erzeugt. Handelt es sich um ein Beutetier, stürzt sie sich blitzschnell darauf, lähmt es mit einem Biss, dreht es mit atemberaubender Geschwindigkeit um die eigene Achse und wickelt es dabei mit einem Faden ein. Die Beute kann dann gefressen werden oder infolge der Lähmung konserviert und als Nahrungsvorrat aufbewahrt werden. In diesem Zusammenhang sind die spitzen, klauenförmigen Kieferzangen interessant. Wie der Giftzahn einer Schlange injizieren sie lähmende Flüssigkeit in die Beute. Und noch mehr: Diese Flüssigkeit zersetzt das Beutetier in seinem Inneren und dann kann die Spinne den sozusagen außerhalb des eigenen Körpers verdauten Nahrungsbrei auf- und die Beute aussaugen. Nur die leere Hülle der Beute bleibt über.

Nebenbei bemerkt: Alle Spinnen sind giftig, aber die Zangen der bei uns lebenden Spinnen sind zu schwach, um die menschliche Haut zu durchbeißen. Ich hatte schon Hunderte von Spinnen in der Hand und nicht ein einziges Mal einen Bissversuch erlebt.  Die in Süd-Europa heimische, einzige, wirklich gefährliche Schwarze Witwe ist selten, ich habe sie trotz tagelanger Suche nicht gefunden.

Zurück zu den Netzen. Sie können sehr unterschiedlich gestaltet sein. Am bekanntesten sind die Radnetze der Kreuzspinnenfamilie. Baldachinspinnen bauen – wie der Name vermuten lässt – waagerechte Netze, die nach oben ein pyramidenartiges Gespinst haben. Fliegt ein kleines Beutetier dagegen, stürzt es ab, fällt auf den flachen Netzboden und wird von unten sofort von der Netzbesitzerin gebissen. Dann gibt es die Trichterspinnen, deren Netz tatsächlich wie ein Trichter geformt ist. Die Spinne sitzt meist im unteren engen Bereich des Trichternetzes und wartet darauf, dass Beute in die Trichteröffnung fällt.   

 Damit sind die Aufgaben der Spinnenfäden noch lange nicht erschöpft. Der Signalfaden wurde bereits erwähnt. Auch die Bedeutung des Spinnfadens zum Einwickeln der Beutetiere. Eine weitere Funktion ist der Sicherungsfaden: Beunruhigt man eine Spinne, lässt sie sich oft einfach zu Boden fallen. In der freien Natur ist es dann schwierig, sie wieder zu entdecken. Der hilfreiche Trick heißt: lange genug warten. Denn plötzlich klettert die Spinne am eigenen Faden wieder hoch. Sie hat sich nämlich mit einem Sicherungsfaden an ihrem ursprünglichen Sitzplatz „angeseilt“ und verlängert diesen beim Fall ganz einfach. 

 

Eine andere wichtige Aufgabe des Spinnfadens ist die Herstellung von Wohngespinsten. In ihnen versteckt sich die Spinne. 

 

Und schließlich das Weben der Kokons. Das sind die Hüllen, in die die Spinnenmutter die Eier legt. Zerlegt man einen Kokon und studiert seine Bestandteile im Mikroskop, kann man mit großen Erstaunen feststellen, dass die einzelnen Schichten ganz unterschiedliche Baueigentümlichkeiten aufweisen: innen feine, verfilzte Seidenschichten als Wärmeschutz, nach außen zunehmend festere und dickere Fäden, teilweise spiralen artig angeordnet, die das Wasser abhalten und für Festigkeit sorgen.

Netzlose Spinnen

ABER es gibt auch Spinnen, die keine Netze bauen bzw. nicht mit Hilfe von Netzen jagen.

Drei  Beispiele:   

  • Springspinnen, man erkennt sie an den beiden großen, nach vorne gerichteten Augen, von denen man annimmt, dass sie notwendig sind, die Entfernungen einzuschätzen. Sie fangen, wie ihr Name sagt, ihre Beute im Sprung.
  • Wolfspinnen, sie leben oft in Erdröhren und jagen ihre Beute „zu Fuß“. Zu ihnen gehört auch die gefürchtete, aber harmlose Tarantel.  Als Besonderheit der Wolfspinnen ist zu erwähnen, dass sie ihren Kokon nicht irgendwo anheften, sondern an ihren Spinnwarzen befestigen und mit sich herumtragen. Sollte er tatsächlich einmal abgestreift werden, suchen sie ihn wieder. (Lustigerweise tragen sie freilich auch beim Verlust ihres Kokons manchmal ein Ersatzobjekt, wie ein leeres Schneckenhäuschen, mit sich.) Auch die schlüpfenden Jungspinnen werden am Hinterkörper tagelang mitgetragen.
  • Jagdspinnen, dazu gehört eine unserer größten Spinnen, die gerandete Jagdspinne. Sie hält sich gerne am Wasser auf, kann sogar auf der Wasseroberfläche laufen und fängt auch Beute aus dem Wasser, etwa kleine Fische.    

Spinnensex oder "Ich habe dich zum fressen gern"

Diese Liebeserklärung ist an die Spinnen-Männchen gerichtet. Sie sind bei manchen Arten nicht nur deutlich kleiner als die Weibchen, sondern leben auch gefährlich. Schon die Annäherung an das Weibchen ist riskant. So zupft er zuerst in einem bestimmten Rhythmus am Rande des Netzes und sie zeigt durch entsprechendes Zupfmuster Zustimmung oder nicht. Das empfiehlt sich bereits zu beachten. Und dann, wie mancher Leser schon vermuten mag, es ist so: Nach der Begattung, die manchmal nur Bruchteile von Sekunden dauert, muss sich der Spinnen-Bräutigam schleunigst aus dem Staub machen. Sonst läuft er meist auch als Liebhaber Gefahr, von seiner Gattin gefressen zu werden. (Wie gut geht es da uns Menschen-Männern…) 

Zum eigentlichen Akt: Die Geschlechtsöffnungen liegen bei Männchen und Weibchen am Bauch. Die Spermienübergabe erfolgt mit Hilfe der sog. Tasterspitze des Männchens, das dafür entsprechend ausgebildet ist. Es ist im Prinzip ein hohler Behälter, der sehr kompliziert aufgebaut ist. Die Tasterspitze muss erst einmal mit Sperma aufgefüllt werden. Dazu baut das Männchen ein Miniaturnetz am Boden, bestückt es mit Spermien aus der Geschlechtsöffnung und saugt diese mit der Tasterspitze (= Bulbus) auf. Die Geschlechtsöffnung des Weibchens ist ebenfalls kompliziert entwickelt, sodass der Bulbus wie nach dem Schloss-Schlüssel-Prinzip in die weibliche Geschlechtsöffnung passt. - Das ist äußerst interessant für den Spinnenforscher, weil viele Spinnen nur am Aufbau ihrer Geschlechtsorgane identifiziert werden können.

Das Weibchen baut bald einen Kokon, manchmal gut sichtbar angebracht, manchmal aber so versteckt, dass man ihn stundenlang suchen muss. Bei manchen Arten verteidigt das Weibchen seine Nachkommenschaft in spe, es gibt sogar Arten, bei denen das Weibchen die Jungen füttert, andere Arten überlassen den Kokon einfach sich selbst. Die Besonderheit bei den Wolfspinnen, die den Kokon und später die Jungspinnen am Hinterkörper mit sich herumtragen, habe ich schon erwähnt. 

Und so geht es dann weiter: Manche Kokons überwintern, manche nicht. Aber irgendwann, ganz gleich ob in diesem oder im nächsten Jahr, sind  die Jungspinnen so weit entwickelt, dass sie sich durch die Kokonwände beißen. Dann bauen sie um den Kokon ein Netzgeflecht, in dem sie sich verteilen. Bei Störung ballen sie sich sofort wieder zu einem Klumpen zusammen. Allmählich lassen sie dann – nach Art Altweibersommer – Spinnfäden austreten, die vom Luftzug weggeblasen werden, irgendeinen Gegenstand berühren und dort kleben bleiben. So wird etappenweise und gar nicht so langsam ein relativ großer Raum erobert, in dem sich die Jungspinnen verteilen. - Ich konnte das in meinem Arbeitszimmer bei jungen Gartenkreuzspinnen recht schön beobachten. - Die Zahl der Jungtiere schwankt von Art zu Art. Das können Hunderte, aber auch nur ein paar wenige sein. Wichtig ist nur, dass genügend überleben, um die Alttiere ersetzen zu können. So stirbt die Art nicht aus.